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Grande Semana Missionária


"Ich kann nur schon mal so viel sagen: es war das größte Abenteuer, was ich jemals erlebt habe und auch das Mutigste, was ich je gemacht habe. Also seid gespannt!"

Sonntag, der 22. September, 6 Uhr morgens.
Wir standen an der mehr oder weniger provisorischen Bushaltestelle und warteten zu ungefähr 20 Personen auf das... Gefährt, was uns in das drei Stunden entfernte Loreto bringen sollte. Anna und ich machten uns schon die größten Hoffnungen auf einen super luxuriösen Bus, wie wir ihn schon von der Fahrt von Imperatriz nach Balsas gewöhnt waren. Der Bus hatte mehr Fußraum, als jeder deutsche Bus, den ich jemals betreten habe und das heißt schon was! 
Wir wurden bitter enttäuscht, denn unser Bus sah so aus:

Ich weiß nicht warum, aber das Bild lädt einfach nicht hoch... Es war auf jeden Fall ein für 14 Leute konzipierter Bus und wir waren nicht nur 20+ Leute, sondern hatten auch noch eine Ziege dabei.



Als dann endlich alle Koffer in den Kofferraum gequetscht waren und die Kapazität des Busses auf das äußerste ausgereizt war, ging es los. 

Es wurde im Bus gesungen, kleine Bücher mit Geschichten wie "Das Dschungelbuch", "Peter Pan" und "Alice im Wunderland" verteilt und Anna und ich wurden natürlich von allen Seiten vollgetextet mit Fragen zu uns, unserem Leben, was wir von Brasilien halten ("mögt ihr Brasilien nicht, oder warum bleibt ihr nur ein Jahr?")und ob wir Schwestern seien. Die Frage liegt natürlich auch nahe, Anna hat braune, lockige Haare und ist 1,80 m groß, das einzige was uns rein optisch verbindet ist unsere Hautfarbe. 

Nach drei Stunden sind wir in Loreto angekommen und sofort von einer brasilianischen Gruppe empfangen worden. Und mit „brasilianisch“ meine ich, dass selbst musiziert und getanzt wurde. 

Später haben Anna und ich uns zu unserer Gastfamilie auf den Weg gemacht, ein altes Ehepaar, das uns natürlich - wie sollte es anders sein - mit Essen begrüßt hat und uns anschließend zwei Hängematten zum Ausruhen angeboten hat, denn am Abend wurde getanzt! Die Brasilianer haben wirklich einen Rhythmus im Blut, den wir wohl niemals spüren werden, aber ich hab mir größte Mühe beim Tanzen gegeben...

Um halb zwölf lagen wir im Bett, um vier mussten wir aufstehen, aber in Brasilien ist es eigentlich unmöglich Müde zu sein, dass lassen die Brasilianer tendenziell nicht zu. Der Tag begann um fünf Uhr mit einer Parade durch die Stadt (zur Freude aller, die nicht daran teilgenommen haben) und weitere fünf Stunden später wurden Anna und mir endlich erklärt, was wir eigentlich die Woche lang in Loreto machen würden, denn bis zu diesem Zeitpunkt wussten Anna und ich genauso wenig darüber wie ihr jetzt. 

Und zwar wurden die über 200 Teilnehmer der GSM auf Dörfer und "Städte" der Umgebung aufgeteilt, um die Gemeinschaft der Gemeinde zu stärken. Das hört sich vielleicht im ersten Moment komisch an, aber man muss bedenken, dass es auf besagten Dörfern teilweise keinen Strom gibt und die Menschen dort schon rein distanztechnisch von der Außenwelt abgeschnitten sind, dementsprechend war die Freude groß, als Anna, ich nach zwei Stunden und einer sehr sehr holprigen Strecke in Agrovila ankamen. Richtig gelesen! Anna, ich und noch vier andere, die wir nicht wirklich kannten, wurden nach Agrovila eingeteilt. 
Ich will ehrlich sein, am Anfang hatte ich schon Angst... ich hatte keine Ahnung, wohin es ging, keine der Schwestern war dabei und ich wusste auch nicht, ob ich dort überhaupt Empfang haben würde, um Kontakt mit meiner Familie zu halten. Also zusammengefasst hatte ich keinen Plan von irgendwas.

Die erste Stunde im Bus habe ich noch irgendwie versucht mir den Weg zu merken, aber mit der Zeit habe ich mir dann gedacht: "Lea, komm schon, lass dich einfach drauf ein, du kannst jetzt eh nichts mehr dran ändern." Also ging es ab ins Ungewisse. 

In Agrovila wurden wir -wie immer hier in Brasilien- super herzlich empfangen, es gab Kuchen und Getränke (auch Guaraná Antarctica;-)). 

Der Tag neigte sich für Anna und mich danach schon dem Ende zu und wir wurden zu unserer neuen Gastfamilie gebracht. Das war dann wohl der erste wirkliche Schock, als wir in das Haus gekommen sind, obwohl das im Vergleich zu den Behausungen, die wir die kommenden Tage noch sehen sollten sehr luxuriös war. 
Das Haus war von außen nicht verputzt und man sah dementsprechend noch die Backsteine. Den Anblick zumindest waren wir schon gewöhnt, allerdings hatten wir noch nicht in das Innere eines solchen Hauses geschaut: die Backsteine waren zwar nicht sichtbar, allerdings waren die Wände trist und grau.



(das war unser Zimmer, aber das Bild kann auch exemplarisch auf den Rest des Hauses übertragen werden)

Trotzdem haben Anna und ich uns schnell an die Umgebung gewöhnt. Wir hatten ein Bett, Wasser (zwar nicht fließend) und ausgesprochen leckeres Essen. Morgens gab es nämlich immer selbst gemachten Kuchen und frischen Saft aus exotischen Früchten des Amazonas. 
Was braucht man mehr? 
Das angesprochene Essen gab es aber nicht in den jeweiligen Gastfamilien, sondern hier zusammen mit allen anderen:



(die Bänke und Stühle waren dann natürlich so gestellt, dass man gemütlich mit allen anderen zusammen essen konnte)

Und dann ging es am Dienstag richtig los. 
Anna, ich und noch ein anderer aus Loreto wurden einem Pickup zugeteilt und wir sind mit drei „Einheimischen“ Agrovilas zusammen in den Amazonas gefahren. Einer der Einheimischen konnte sogar recht gut Deutsch sprechen und einer Englisch.
Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, wie ich die ganzen erlebten Eindrücke dieser Tage beschreiben soll, deshalb erstmal ein paar Bilder: 



Häuser wie diese haben wir den ganzen Tag besucht und wir wurden ausnahmslos freundlich und vor allem ohne jegliche Vorbehalte empfangen. Es wurden uns jedes Mal Stühle angeboten und oft auch zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen, ohne dass die Leute überhaupt wussten, was wir eigentlich von ihnen wollten - das wusste ich zugegebener Maßen am Anfang auch selbst nicht.

Aber wenn ich jetzt zu reflektieren versuche, was wir die Tage dort in Agrovila gemacht haben fällt mir sofort das Schlagwort Gemeinschaft ein. Wir haben mit dem Menschen geredet und sie beispielsweise gefragt, ob sie glücklich seinen und es wurde ausnahmslos mit "ja" geantwortet, denn die Menschen, so haben sie erklärt, haben alles, was sie brauchen: Gesundheit, eine Familie, Essen und Trinken und eine Dach über dem Kopf. Wer diese Bedürfnisse gestillt hat, sollte sich glücklich schätzen können und hier in meiner Gegend tun das wirklich viele Leute.

Ich wurde hier in Brasilien bis jetzt immer mit Großzügigkeit und Offenherzigkeit empfangen und trotz meines komplett anderen Aussehens wurde ich nicht anders oder skeptisch angeschaut.
Deshalb glaube ich, dass ich diesen vorbehaltslosen Charakter in Deutschland vielerorts vermissen werde.




Aber nicht nur die Leute, sondern natürlich auch die Natur haben mich komplett fasziniert. Ich habe eine Welt sehen dürfen, wie ich sie mir nicht vorstellen konnte und wie sie keine Kamera der Welt einfangen kann. Und ich bin nicht nur in eine andere Welt, sondern auch eine andere Zeit eingetaucht. 
Ich durfte auf der Ladefläche eines Pickups durch den Amazonas fahren. 
Ich durfte grenzenlose Weite sehen.
Ich durfte mich mitten im Dschungel wiederfinden.
Ich durfte die Natur sehen, hören und riechen (und wenn man an die ganzen Früchte denkt auch schmecken). 
Ich durfte, ich durfte, ich durfte...
Und ich durfte das alles nur, weil ich ein riesen großes Glück hatte. Ich habe mich bei SMMP beworben, die Stelle in Balsas war das erste Mal für Freiwillige offen, ich bin tatsächlich nach Brasilien, nach Balsas gegangen, ich habe die Gelegenheit bekommen, für eine Woche zur Grande Semana Missionária zu gehen, ich wurde nach Agrovila geschickt und ich habe das ungefilterte Leben miterleben dürfen. Die Erlebnisse, die ich sammeln durfte sind für normale Touristen unzugänglich.

Ich weiß, dass ich in dieser Woche Erlebnisse gesammelt habe, die mir für den Rest meines Lebens niemand nehmen kann.





Jetzt bin ich ein wenig vom Thema abgeschweift, was wir denn eigentlich in Agrovila gemacht haben. Neben dem Fragenstellen haben wir den Leuten auch angeboten mit uns zu beten, oder wenn sie das nicht wollten, auch über eher philosophische Ansätze zu diskutieren. Das war für mich anfangs echt befremdlich, weil wir die Leute ja gar nicht kannten und uns einfach mit denen zusammengesetzt haben und über Gott und die Welt geredet haben, aber hier ist das normal. Man hat keine Hemmungen sich auch einfach mit einer fremden Person zusammen zu setzten und schauen, in welche Richtung das Gespräch wohl geht.


(ich habe noch sehr viel mehr Fotos, die ich die Tage unter „Bilder“ und dann „Agrovila“ hochladen werde, das dauert nur leider ewig, deswegen werden wohl immer mal wieder neue Fotos dabei sein)

Am Mittwoch haben wir weitere Hausbesuche gemacht und wenn ich das richtig zuordnen kann würde ich sagen, dass wir am Vortag die Arbeiter der Farmer besucht haben und am Mittwoch die Farmer selbst. Die Behausungen waren etwas "normaler", also keine Lehmhütten mehr, sondern wieder Backsteinhäuser, die Natur war aber genauso spektakulär. 

(auch hierzu kommen noch demnächst Bilder)



An diesem Abend sind wir hinten auf dem Pickup an einem kleinen Wirbelsturm vorbeigefahren und nachts konnte man tatsächlich die Milchstraße und einen spektakulären Sternenhimmel sehen. Es war fantastisch!
Am Donnerstag haben wir die Menschen selbst in Agrovila besucht und sind wie gewohnt herzlich empfangen worden.

Wir waren bei einer Frau, die uns erzählt hat, dass sie 15 Kinder habe und 68 Enkel und die ganze Straße war tatsächlich fast nur von ihrer Familie bewohnt!

Man denkt sich jetzt, dass diese Erlebnisse nicht mehr zu toppen sind - das habe auch ich selbst gedacht - bis ich am Freitagmorgen in Coco, in der Nähe von Agrovila von dem Pickup geklettert bin,



den Weg zur in den Felsen geschlagenen Kirche gelaufen bin, 






und mich umgedreht habe.





Anna und ich mussten uns erstmal setzten und haben einfach nur irgendwie versucht den Augenblick abzuspeichern, um ihn nie wieder zu vergessen. 
Das war eine Weite, wie ich sie noch nie gesehen habe und ich fühle mich schon fast schlecht das Bild oben einzufügen weil es den Ausblick nicht Mals ansatzweise reflektiert. 

Nachdem wir in diesem absoluten Paradies (da habe ich das Wort schon wieder neu zu definieren gelernt) noch eine traditionelle Messe gehalten haben, haben wir uns auf den Weg zurück nach Agrovila und dann zurück nach Loreto gemacht.

In Agrovila werde ich immer mit offenen Armen empfangen werden, das wurde mir ausdrücklich und mehrmals versprochen und ich habe viele Betten und Hängematten zum Schlafen angeboten bekommen.

In Loreto haben wir die Grande Semana Missionária mit Tanz, Gesang und Essen ausklingen lassen und am Sonntagmorgen ging es nach großem Abschied zurück nach Balsas.

Wie erwähnt habe ich das Geschehene noch immer nicht ganz verarbeitet und ich werde wahrscheinlich diesen Eintrag noch ein paar Mal überarbeiten müssen. 

Ich bin einfach nur unbeschreiblich dankbar, dass mir diese Gelegenheit, aber auch generell das ganze Jahr in Brasilien geschenkt wird und ich Erfahrungen für den Rest meines Leb
ens sammeln darf!